Mittwoch, 15. Juni 2016

Stille dort, wo alles sich bewegt



Ruhe und Bewegung

Unter dem Motto „Reif für die Insel“ führten sechs Kunst-Studentinnen der MSH Medical School Hamburg für MARTINIerLEBEN am 27. Mai eine Performance im öffentlichen Raum der weitläufigen Kreuzung Tarpenbekstraße/Martinistraße durch. In einheitlicher Kleidung und jeweils einzig mit einem weißen Klappstuhl ausgestattet thematisierten sie für einige Stunden Stille, Aufenthalt und menschliche Präsenz.



Dort, wo alles sich bewegt, wo tausende von Autos brausen, wo nur das Ziel, niemals der Weg die Maßgabe zu sein scheint, dort, wo es schnell und laut ist, waren sie einfach langsam und vollkommen still. Selten wechselten sie ihre Position und erschienen doch in überraschenden Posen an unterschiedlichen Stellen der großen Kreuzung: An der Ampel, auf dem Grünstreifen, am Kantstein, auf der Verkehrsinsel – reif für die Insel.



Gerade das Minimalistische der Ausstattung, aber auch der starke Kontrast zu den übrigen Verkehrsteilnehmern, machte die beeindruckende Wirkung der Performance aus, die Passant*innen zu den unterschiedlichsten Reaktionen anregte: „Das ist Kunst, so was liebe ich!“ „Muss man Ihnen helfen?“ „Ihr wirkt wie die Stille im Auge des Orkans.“ Viele Passanten fotografierten oder filmten das ungewöhnliche Geschehen und wurden damit selbst zum Teil der Performance. Wenige reagierten genervt und zeigten damit vor allem, wie klein ihre Bereitschaft ist, ihren alltäglichen Tunnelblick zu weiten.


Informieren konnten sich die Passanten durch Flyer, die auf einem liebevoll dekorierten kleinen Regal an einer Ampelsäule ausgelegt waren. MARTINIerLEBEN hat mit dieser Aktion einmal mehr kreativ und subtil einige der Hauptfragen des Vereins in die Öffentlichkeit gebracht: Wie kann Leben und Zusammenleben in der großen Stadt gelingen? Wo finden wir Aufenthaltsqualität? Wie können wir uns gegenseitig wahrnehmen, Interesse aneinander gewinnen, Begegnungen erleben?

(Text: Jan Sonntag, MSH)


Dienstag, 7. Juni 2016

Bremsen nicht vergessen – ein Selbstversuch im Rollstuhl





Eppendorfs Straßen im Eignungstest

Die Vorbereitungen für den barrierefreien Stadtteilführer Eppendorf haben begonnen. Das Faltbatt ist ein gemeinsames Projekt von MARTINIerLEBEN und der Gemeinde St. Martinus. Am Freitag, dem 27. Mai ist eine Gruppe Wagemutiger losgezogen, um im Selbstversuch und unter fachkundiger Anleitung den Stadtteil auf seine Rollstuhltauglichkeit zu testen. Insgesamt machten sich an diesem Morgen folgende Testpesonen auf den Weg: zwei Erwachsene im Elektrorollstuhl, zwei Jugendliche, die dieses Jahr konfirmiert wurden, ein Jugendgruppenleiter von St. Martinus und vier fußläufige Erwachsene, darunter Elisabeth Kammer und Pastor Uli Thomas, die dieses Projekt leiten.

Herauf mit Muskelkraft
 

Hohe Bordsteinkanten, Steigungen oder verengte Gehwege durch parkende Autos - es galt, am eigenen Leib zu erfahren, mit welchen Hindernissen und Unwägbarkeiten Rollstuhlfahrende im Straßenverkehr zu kämpfen haben. Für das nötige Versuchsequipment in Form von drei Aktiv-Rollstühlen sorgte das Elim Seniorenzentrum und auch das Wetter bot günstige Bedingungen für dieses Experiment.



Nach der Verteilung der Fahrgeräte ging es vom Gemeindezentrum St. Martinus aus über die Ampel in der Tarpenbekstraße in die Martinistraße weiter in Richtung Erikastraße. Nach einem kurzen Stück auf der Schubackstraße und einem Linksschwenk, musste der Haynspark überquert werden, wobei hier eine Steigung bis zum anderen Ende der Parkanlage zu bewältigen war. Anschließend belohnten sich die Testpersonen mit kühlen Getränken für ihre Ausdauer und Anstrengung.



Zwischendurch: nützliche Tipps
Eine der prägendsten Beobachtungen dieses Selbstversuchs war, dass Rollstuhlfahrende als Gruppe auf die fußläufigen Passanten einen enormen Eindruck machen und sie neugierig werden lassen. Immer wieder blieben Menschen stehen und beobachteten die Kolonne. Die entgegen kommenden Fußgänger*innen wichen aus und machten den Weg frei. Als einer der Neu-Rollstuhlfahrenden immer wieder vergeblich versuchte, die Bordsteinkante zu überwinden, wurde er von einer Bekannten angesprochen, die sich entsetzt zeigte, ihn im Rollstuhl zu sehen. Bis auf die Hinz & Kunzt-Verkäuferin vor dem Penny-Markt kam ihm aber niemand zur Hilfe.

Herausforderung Kante

 Die Testpersonen geben zu, dass es nicht so einfach war, den Rollstuhl in der Geraden zu halten, besonders bei Unebenheiten in der Fahrbahn driftete er schnell in eine Richtung ab. Selbst niedrige Kanten und Buckel zu überwinden, erwies sich als Herausforderung. Am schwierigsten war es, Bordsteinkanten vorwärts hochzukommen, ohne dass der Rollstuhl nach hinten kippt. Hier gab Erk Brodersen vom Projektteam barrierefreier Stadtteilführer immer wieder hilfreiche Tipps in Sachen Navigation. Bei der Steigung waren Muskelkraft und Ausdauer gefragt, um ein ständiges Zurückrollen zu verhindern. Und auch das Hinunterfahren sieht mitunter leichter aus, als es in Wirklichkeit ist. Hier lernten die Probanden, auf eine bestimmte Art abbremsen, um in der Spur zu bleiben. Zugeparkte Fußgängerwege und dicht an dicht geparkte Autos machen das Durchkommen oft unmöglich. 

Schon wieder eng

Es ist allen Teilnehmer*innen an dem Experiment sicher bewusst geworden, mit welchen Schwierigkeiten und Mühen die Aktiv-Rollstuhl Fahrenden konfrontiert sind, wenn sie sich im Straßenverkehr bewegen. Die noch immer häufig nicht barrierefrei gestalteten Zugänge zu vielen Gebäuden, Wohnungen und öffentlichen Verkehrsmitteln erschweren die Fortbewegung noch zusätzlich. 


Fröhlicher Ausklang im Café

Die Gruppe trifft sich am Freitag, den 10. Juni für einen weiteren Erkundungsgang wieder: diesmal testen sie Geschäfte, Dienstleister und Gastronomie auf Rampen und barrierefreie Zugänge.

Mögliche Sponsoren, die das Faltblatt für barrierefreies Einkaufen in Eppendorf mit einer Anzeige unterstützen wollen, können sich gern bei Elisabeth Kammer von MARTINIerLEBEN unter elisabeth.kammer@martinierleben.de oder der Telefonnummer 040-46 77 93 25 melden.